"Fehler" im Kontext des DaZ-Erwerbs
Spracherwerb ist ein langfristiger neurokognitiver Prozess. Dabei entwickelt sich bei den Lernenden eine so genannte Interimssprache (Lernersprache), die als eigenes Sprachsystem angesehen wird. Darunter versteht man Sprachstufen, die noch nicht einer muttersprachlichen Kompetenz entsprechen. Lernende versuchen durch stetige Prüfung von Hypothesen, sich der Zielsprache schrittweise anzunähern. Lernersprachen sind dynamisch, weil sie ständiger Veränderung unterworfen sind und weisen Kennzeichen von Mutter- und Zweitsprache auf.
Lernersprachen weisen aber auch ganz eigene Merkmale auf, welche weder in der Mutter- noch in der Zweitsprache vorkommen, wie folgender Satz eines türkischen Schülers zeigt:
S: Ein Vogel kommte.
Kommte ist weder eine zielsprachengerechte Form, noch ist sie aus dem Türkischen ableitbar. Sie entsteht vielmehr dadurch, dass der Lerner eine Regel der Zielsprache (hier die regelmäßige Präteritumsbildung) auf ein unregelmäßiges Verb übertragen hat. Dieses Phänomen wird Übergeneralisierung genannt.
Lernersprachenspezifische Merkmale sind neben der Übergeneralisierung die Weglassung von Funktionswörtern (z.B. Präpositionen) oder Flexionsendungen wie z.B. Ich gehen Haus.
Man kann sich den Zweitspracherwerbsprozess insgesamt vorstellen als eine Abfolge von sprachlichen Übergangssystemen, also sich ständig verändernder Lernersprachen, die dem Sprachsystem der Zielsprache immer ähnlicher werden.
„Fehler“ sind in diesem Kontext als Ausdruck sprachlicher Lernleistungen zu verstehen. Sie sind daher als positiv zu begreifen und zuzulassen. Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit sind kein Ausdruck von Dummheit oder Lernunwilligkeit, sondern ein notwendiges und logisches Zwischenstadium im Spracherwerbsprozess. Sie zeigen an, dass Lernende kognitiv und kreativ tätig sind und liefern wertvolle Informationen in Bezug auf den Sprachstand.
Entwicklungsbedingte Fehler, also Fehler, die in einer bestimmten Phase des Spracherwerbs durchlaufen werden und danach von alleine "verschwinden", müssen infolgedessen anders bewertet und behandelt werden als Fehler in sprachlichen Bereichen, die eigentlich erworben sein müssten. Daher ist eine Fehleranalyse unabdingbar (-> Fehleranalyse).
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Verwendete Literatur:
CHLOSTA, Christoph / SCHÄFER, Andrea / RUPPRECHT S. BAUR.: Fehleranalyse. In: Ulrich, Winfried (Hrsg.): Deutschunterricht in Theorie und Praxis. Deutsch als Zweitsprache. 4. Aufl. Schneider Verlag Hohengehren: Baltmannsweiler 2017.
DAHMEN, Silvia: Orthografiefehler bei DaZ-Lernern - Ursachen, Diagnostik und Training. In: Michalak, M. / Kuchenreuther, M. (Hrsg.): Grundlagen der Sprachdidaktik Deutsch als Zweitsprache. 3. Aufl. Schneider Verlag
Hohengehren: Baltmannsweiler 2015.
KNIFFKA, G. u.a.: Deutsch als Zweitsprache. Lehren und Lernen. 2. Aufl. Schöningh Verlag: Paderborn 2009.
WEIS, Ingrid: DaZ im Fachunterricht. Sprachbarrieren überwinden - Schüler erreichen und fördern. Verlag an der Ruhr: Mülheim an der Ruhr 2013.
Der Grundlagenband Mitsprache bietet das für den erfolgreichen
DaZ-Unterricht auf der Sekundarstufe 1 notwendige theoretische Hintergrundwissen und verbindet es mit einem Praxisteil. In diesem werden vielfältige, ausgearbeitete Anregungen und Vorschläge für
den DaZ-Unterricht in Deutsch, Fremdsprachenunterricht, Geschichte, sozialwissenschaftlichem Unterricht, Mathematik und in den Naturwissenschaften gegeben. Ergänzt werden die
Unterrichtsvorschläge durch Kopiervorlagen.
Die Arbeitshefte von Mitsprache bauen auf dem Grundlagenband auf und bieten Material zur systematischen Sprachförderung. Im Zentrum der Arbeitshefte stehen Lesen
und Schreiben als zwei Basiskompetenzen, die unabdingbar für schulischen und gesellschaftlichen Erfolg sind. Wie der Grundlagenband beschränken sich auch die Arbeitshefte nicht auf den reinen
Deutschunterricht. Vielmehr helfen sie dabei, sprachliche Kompetenzen von DaZ-Lernen auch in den unterschiedlichen Schulfächern aufzubauen und zu fördern. Insgesamt gibt es drei Mitsprache
Arbeitshefte (5/6, 7/8, 9/10), die unterschiedliche Lernniveaus repräsentieren. Sie sind vorrangig für die entsprechenden Jahrgangsstufen konzipiert, können aber auch für Ältere mit einem
ähnlichen sprachlichen Kompetenzniveau eingesetzt werden.